Am 13. August 2022 liefen wir unseren kulturhistorischen Spaziergang vom S-Bahnhof Schönholz durch Niederschönhausen zum S-Bahnhof Pankow. Wir waren sieben Teilnehmer, zusammen mit Mitgliedern aus Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof. Organisiert und inhaltlich vorbereitet wurde der Spaziergang von Heribert Eisenhardt.
In der Nähe des S-Bahnhofs Schönholz betrachteten wir die letzten erhaltenen Mauerresten der ursprünglichen Mauer von 1961 – belegen in einem wenig frequentierten Waldstück. Im Unterschied zu anderen Abschnitten blieb die Ur-Mauer erhalten, mitsamt den aufgesetzten Metallhaltern für Stachel- und Signaldraht.
Nikita Chruschtschow, 1. Sekretär der KPdSU und Premierminister der Sowjetunion, befahl den Mauerbau, als er auf dem Höhepunkt seiner Macht war. Die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht hatte lange gebeten, die Mauer errichten zu dürfen. Die DDR wäre ohne Mauer ausgeblutet. Die Sowjetunion profitierte von den Ressourcen der DDR und wollte diese erhalten. Doch erst als die Westalliierten inoffiziell signalisiert hatten, im Falle eines Mauerbaus nicht militärisch vorgehen zu wollen, um massive Atomschläge zu vermeiden, ordnete Nikita Chruschtschow den Mauerbau an. Für die Westberliner war der Mauerbau ein Schock, denn sie hatten darauf vertraut, dass die Amerikaner eine Abriegelung ihrer Stadt verhindern würden.
In Schönholz befand sich der erste Fluchttunnel, den Lothar Niebank für sein acht Tage vor dem Mauerbau angetraute, 24-Jährige Ehefrau Waltraut gegraben hatte. Der Einstieg war hinter einem Grabstein an der Friedhofsmauer des Pankower Friedhofs. Von dort konnte sie kurz vor Weihnachten desselben Jahres nach Reinickendorf flüchten. Dieser Teil des Friedhofs ist schon lange beräumt.
An ungefähren Standtort des Tunnels erzählte ein Teilnehmer unseres Spaziergangs seine eigene Fluchtgeschichte: im Kofferraum eines Fahrzeugs über einer Transitstrecke nach Westberlin.
Wir liefen weiter durch die Schönholzer Heide, das Bolle-Lied auf den Lippen. Heribert klärte uns auf über die Geschichte des Geländes als Vergnügungspark, wie im Lied besungen. Wir besuchten dann die Überreste des Heide-Theater, das anknüpfend an die Tradition im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes der DDR (NAW) nach dem Kriege errichtet wurde. Nach dem Mauerbau wurde es geschlossen, um in unmittelbarer Nähe der Mauer keine Massenveranstaltungen mit Jugendlichen zuzulassen.
Dann durchschritten wir die „Erich-Weinert-Siedlung“ – eine „Intelligenzsiedlung“ der DDR für ihre Künstler. Dort erfuhren wir viel über die Intellektuellen und Künstler, die in Pankow eine Wohnstätte erhielten, insbesondere Erich Weinert, Kurt Walter Barthel (KuBa), Willy Bredel und Arnold Zweig, und brachten uns deren Werke in Erinnerung.
Im anschließenden Majakowski-Ring besuchten wir die Wohnsitze der Mitglieder des Politbüros der SED (ab 1960 war die „Waldsiedlung“ in Wandlitz verpflichtend Wohnort der Mitglieder des Politbüros). Hier hatten auch Wilhelm Pieck und Johannes R. Becher ihre Wohnhäuser. Für Wilhelm Pieck es als ersten Präsidenten der DDR waren es nur wenige hundert Meter zum Schloss Niederschönhausen, seinem Dienstsitz. Nach dessen Tode wurde das Amt des Präsidenten der DDR abgeschafft und das Schloss Niederschönhausen wurde als Gästehaus der DDR genutzt.
Die Besatzer hatten zu diesem Zweck das gesamte Gebiet beschlagnahmt und die Bewohner vertrieben.
An der „Alten Pfarrkirche“ in der Breiten Straße sprachen wir über den „Pankower Friedenskreis“ von Ruth und Hans-Jürgen Misselwitz, dem Freia Klier, Werner Schulz, Vera Lengsfeld, Angelika Barbe u.v.a. angehörten, insbesondere die Infiltrierung und die Zersetzung durch die Staatssicherheit. Dabei kamen wir auf das Paradoxon zu sprechen, dass die einzige organisierte Opposition in der DDR noch linker war als die SED selbst (weil sämtliche anderen Oppositionellen flohen, auswanderten oder ermordet wurden).
Als letzte Station des Spaziergangs, an ehemaligen Kubanischen Botschaft, dem Gebäude des Jüdischen Waisenhaus hielt Falk einen kurzen Vortrag über die Kuba-Krise und die Wechselwirkung zwischen den Konfliktfeldern Kuba und Deutschland im Kalten Krieg. Reinhard Gehlen, der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hatte großes Interesse an Kuba. Der BND verfolgte den Verlauf der Ereignisse insbesondere seit der kubanischen Revolution Anfang 1959 intensiv. Schon im Sommer 1962 -anscheinend mehrere Monate vor der amerikanischen Regierung – wusste der BND von der Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen auf Kuba. Aus einem veröffentlichten Gespräch des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas Mikojan in Havanna mit Fidel Castro von 1962 geht hervor, dass dies der sowjetischen Führung bewusst war.
Nach dem Ende unseres Spaziergangs konnten mehrere Teilnehmer noch an der Gedenkveranstaltung der AfD Steglitz-Zehlendorf an der Gedenkstele für Peter Fechter teilnehmen. Dort gedachten wir allen Opfern der Mauer und legten Blumen nieder.