Am 13. November 2022 begingen wir unseren kulturhistorischen Spaziergang auf den Spuren der „Moderne“ zur Ikone des neuzeitlichen Bauens – die „Hufeisensiedlung“ in Britz.
Als spiritus rector führte Heribert Eisenhardt die 15 Teilnehmer durch Britz, Baumschulenweg und Neukölln.
Zunächst jedoch gedachten wir der gefallenen deutschen Soldaten beider Weltkriege und der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft des 20. Jahrhunderts. Am „Britzer Gedenkstein“, einem als Mahnmal ein aufgerichteten Findling, legten wir Blumen nieder und zündeten eine Kerze an.
Bezirkssprecher Falk Rodig hielt eine Rede über die unfassbare Entgrenzung der Gewalt in der „Moderne“. Der Eintritt in die Moderne führte zum Völkermord in Armenien, dem ersten Weltkrieg, dem russischen Bürgerkrieg, dem Holodomor, dem zweiten Weltkrieg, dem Holocaust, dem alliierten Bombenterror, den Atombombenabwürfen und all den anderen Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts, die den Einzelnen fassungslos vor dem entfesselten Bösen zurücklassen.
Als „Moderne“ bezeichnet man das Zeitalter des Umbruchs in zahlreichen Lebensbereichen gegenüber der Tradition, bedingt durch Industrielle Revolution, Aufklärung und Säkularisierung. Falk Rodig erinnerte daran, dass auch der Mauerbau und die sozialistischen Diktaturen Phänomene der Moderne waren und wir nur mit großem Glück wir der totalen atomaren Vernichtung durch die Blockkonfrontation im kalten Krieg entronnen sind.
Friedlich, kleinbürgerlich und glücklich hingegen präsentierte sich uns die „Hufeisensiedlung“ als Gartenstadt, die noch nicht Plattenbausiedlungen der kommenden Jahrzehnte erahnen lässt – von einigen markanten Punkten abgesehen. Als Anlage des staatlichen Wohnungsbaus stammen die Mieter seit jeher aus einer staatsnahen Klientel, in den zwanziger Jahren vor allem aus dem Umfeld der SPD.
Eine erste Station war das ehemalige Wohnhaus von Heinrich Vogeler, eines Mitgründers der Künstlerkolonie Worpswede. Heribert Eisenhart berichtete über dessen bewegtes Leben als Soldatenrat in Bremen, als sozialistischer Künstler in Moskau und sein tragisches Ende als auf Stalins Befehl verschleppter Deutscher nach dem Überfall auf die Sowjetunion. Eine weitere Station war der Gedenkstein für Erich Mühsam. Falk Rodig trug vor über dessen Leben als Zentralfigur der Schwabinger Boheme, der nach der Novemberrevolution 1919 zum Kopf der Münchener Räterepublik wurde – sowie über dessen Ermordung 1934 im KZ Sachsenhausen.
In der Diskussion wurde hingewiesen auf die besondere Rolle Münchens als Hochburg der militanten Rechten in der Weimarer Republik. In München fand am 9. November 1923 der Marsch auf die Feldherrenhalle statt. Zur Sprache kamen die massiven Gewalteskalationen durch die Räte (russisch „Sowjets“) in Russland seit 1917, deren Nachahmer die Linksextremisten in den Augen der Rechten waren, weshalb sie die Novemberrevolution 1919 niederschlugen – in München mit 2.000 Toten.
Eine weitere Station unseres Spaziergang war das Wohnhaus von Adolf Eichmann, das in der benachbarten Krugpfuhlsiedlung steht und zeitgleich mit der Hufeisensiedlung gebaut wurde. Adolf Eichmann war als Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt zuständig für die Organisation der industriellen Menschenvernichtung.
Anschließend begaben wir uns zur Gedenkstätte für Chris Gueffroy – des letzten DDR-Flüchtlings, der von Grenzsoldaten im Frühjahr 1989 erschossen wurde. Auch hier legten wir Blumen nieder und stellten eine Kerze auf.
Anschließend begaben wir uns zum kürzeren Ende der Sonnenallee und sahen den Ort der ehemaligen Grenzübergangsstelle an – eine der ersten Grenzübergänge, die geöffnet wurden.
Auf Neuköllner Seite besuchten wir die High-Deck-Siedlung, einen letztlich gescheiterten Versuch, sozialen Wohnungsbau mit Individualverkehr zu verbinden, indem die Parkplätze überdacht und als Aufenthaltsflächen gestaltet werden, was einen höhlenartigen Eindruck bewirkt.